Bessemerbirne
Fabrikat unbekannt, Baujahr 1915
Stahl, 355 x 268 x 238 cm, Gewicht 18 t
WIM 2004/108
Eisenerz wird im Hochofen zu Eisen verhüttet. Das so entstandene Roheisen kann nur als Gusseisen vergossen, nicht aber durch Schmieden oder Walzen verformt und weiterverarbeitet werden. Grund dafür ist der hohe Kohlenstoffgehalt, der das Roheisen spröde macht. Um schmiede- und walzbaren Stahl herzustellen, muss der Kohlenstoffgehalt im Eisen auf unter 2% reduziert werden. Dies geschieht durch Oxidation, die chemische Verbindung des Kohlenstoffs mit Sauerstoff, welcher dem noch flüssigen Roheisen zugeführt wird.
Die Bessemerbirne markiert in der Stahlherstellung den Übergang zur mechanisierten großindustriellen Produktionsweise. Vor der Einführung des 1856 von Henry Bessemer in England entwickelten Verfahrens musste das Eisen durch das sogenannte Puddeln (von englisch to puddle = rühren) zu Stahl umgewandelt werden, in dem das teigige Roheisen mit langen Stangen gerührt und auf diese Weise Sauerstoff zur Reduzierung des Kohlenstoffs zugeführt wurde.
3 Tonnen Stahl in 20 Minuten
Bessemerbirnen waren die ersten maschinellen Konverter zur Stahlerzeugung. Vom Boden der Bessemerbirnen wurde mechanisch Luft durch das flüssige Eisen im Tiegel geblasen. In etwa 20 Minuten ließen sich auf diese Weise etwa 3 Tonnen des qualitätsvollen Massenstahls herstellen, dem wichtigsten Baustoff für Maschinen, Eisenbahnen, Brücken oder Fabrikhallen. Im aufwendigen Handarbeitsverfahren des Puddelns waren dafür etwa 24 Stunden notwendig gewesen.
Für die Stahlarbeiter brachte die Mechanisierung des Produktionsverfahrens auch Nachteile, da nun weniger Personal erforderlich war. Und die Unternehmer nutzten mit der Einführung des Verfahrens die Gelegenheit, die als Spezialisten in der Stahlherstellung sehr selbstbewussten und in der Entlohnung teuren Puddler loszuwerden. Das Bessemer-Verfahren wurde bereits noch im 19. Jahrhundert durch das Thomas-Verfahren weiterentwickelt und optimiert und wird heute nicht mehr angewendet. Die Bessemerbirne der LWL-Museen für Industriekultur stammt aus den Eisenwerken Rödinghausen in Menden-Lendringsen und wurde dort bis Anfang der 1960er Jahre eingesetzt.